Es gibt Jubiläen, die fallen erst im Nachhinein auf. Der 3. Februar 2012 war so eins, denn die Show von Scream im Kölner Underground war mein 1000. Konzert.
Als schlimmer Pedant habe ich natürlich sorgfältig Buch geführt und so kann ich genau nachhalten, wen ich wann und wo gesehen habe, ordentlich dokumentiert in einer Excel-Tabelle.
Die folgenden Rückblicke auf verschiedene Events sind weniger ein Best Of... als vielmehr eine manchmal sogar willkürliche Auswahl von Ereignissen aus den letzten mehr als 28 Jahren, die immer noch in meinen Erinnerungen fest verankert sind.
19. Juni 1983: Supertramp (Dortmund - Westfalenstadion)
Ich war 15 und es war mein erstes Mal und wie bei fast allen war es eigentlich gar nicht so toll, wie ich es erhofft hatte. Aber wenigstens dauerte es länger als die andere Sache... Supertramp waren damals eine große Nummer und hatten nach ihrem Album Famous Last Words angekündigt, sich nach ihrer Tour aufzulösen (wie man weiß, haben sie sich leider nicht daran gehalten). Zwei Wochen zuvor war ich das erste Mal im Westfalenstadion gesehen, bei einem furiosen 6:4-Sieg am letzten
Spieltag meiner Borussia gegen den Namensvetter aus Dortmund, das ganze übrigens vor nur 15.000 Zuschauern. Bei Supertramp waren es deutlich mehr, Vorgruppe war ein damals an der Schwelle zum Durchbruch stehender Chris De Burgh.
An das Konzert habe ich kaum noch Erinnerungen, umso deutlicher jedoch an etwas anderes. Es war noch sonniger Nachmittag, fast alle im Innenraum des Stadions saßen, nur ein sichtlich nervöser Mann stand und hielt ein kleines Radio ans Ohr gepresst. Schalke 04 spielte nämlich an diesem Tag in der Relegation gegen Bayer Uerdingen um den Klassenerhalt. Und kurz nach 17 Uhr sackte der Mann plötzlich wie ein Häufchen Elend zusammen - Schalke war abgestiegen.
18. Juni 1989: Pixies (Bochum - Zeche)
In den ersten Jahren ging ich fast ausschließlich auf große Konzerte, häufig in der Dortmunder Westfalenhalle (z. B. Queen, Deep Purple, Prince, Sting, Pink Floyd), aber das sollte sich ändern, hauptsächlich weil sich mein Musikgeschmack wandelte. Durch The Jesus And Mary Chain und Hüsker Dü hatte ich schrägere Musik für mich entdeckt und war auch hier schon auf einigen kleineren Konzerten gewesen (z. B. Phillip Boa & The Voodooclub in der Coesfelder Fabrik im Jahr zuvor). doch ab 1989 fuhr ich immer öfter in die Clubs und es gefiel mir bedeutend besser als die oftmals zu sehr durchchoreographierten Hallenshows mit ihren Mitklatschorgien. Symptomatisch war der Juni, denn nach den Simple Minds in der großen Westfalenhalle schaute ich mir zwei Tage später die Pixies in der ausverkauften Zeche an und war überwältigt. Sie waren so gut, dass ein Freund und ich eine Woche später nach Bielefeld ins PC 69 fuhren und ich zum ersten Mal eine Band mehrmals auf einer Tour sah. In Bielefeld lernten wir dann auch Stefan, damals aus Düsseldorf, kennen, ebenfalls exemplarisch für die vielen netten Menschen, die ich ohne die Konzerte nie im Leben getroffen hätte.
10. August 1991: Drive / Leatherface (London - The Venue)
Im Sommer 1991 war ich mit meiner damaligen Freundin vier Wochen in London (kennengelernt hatten wir uns übrigens im Jahr zuvor bei einem Festival in Schüttorf mit David Bowie, New Model Army und den Pixies) und natürlich wuren auch einige Konzerte mitgenommen, u.a. ein Gratiskonzert von Luciano Pavarotti im Hyde Park. Kurz vor unserer Abreise lasen wir dann, dass sonntags morgens der exklusive Vorverkauf für zwei Shows von David Bowies damaliger Band Tin Machine in der Brixton Academy im November begann. Damals brachte ein Vorverkaufsstart nicht die Server der Online-Ticket-Dienste ins Straucheln, sondern man stellte sich noch brav an den Vorverkaufsstellen an. Samstags sah ich dann mein erstes Spiel von Arsenal, gegen Tottenham im altehrwürdigen Wembley Stadium, fuhr danach nach New Cross, um mir Drive anzusehen, eine britische Poppunk-Band, die inzwischen längst vergessen ist, während die mir damals unbekannte Vorgruppe Leatherface mich umhaute und mich auch heute noch zu ihren Konzerten treibt. Nach dem Konzert gings dann per Bus von New Cross nach Brixton, wo meine Freundin sich schon ein Plätzchen in der bereits imposanten Warteschlange gesichert hatte. Die Ordner verteilten Tee und man unterhielt sich mit den anderen, um sich die Zeit bis zur Öffnung der Kassen um 10 Uhr morgens zu vertreiben. Ich war zwar auch schon mal zuvor nur wegen eines Konzerts ins Ausland gefahren, aber eine Autofahrt nach Enschede kann man ja nicht wirklich mit einem Flug nach London vergleichen, es war quasi der nächste Schritt in Sachen Musikbegeisterung.
24. August 1991: Rheinrock Festival (Köln - Tanzbrunnen)
Festivals gab es auch schon damals reichlich, das Bizarre Festival z. B. oder die vom WDR veranstalteten Rocknächte in der Philipshalle, aber dieses Festival in Köln war neu, fand damals zum ersten Mal im Rahmen der Popkomm statt. Und es war so besonders, war es doch das erste Mal, dass ich Nirvana sehen sollte. Von Smells Like Teen Spirit war noch nicht die Rede, auch wenn bereits der Duft in der Luft lag. Aber ich hatte durch die grandiose Sliver-7" auch die Bleach wiederentdeckt und wollte sie unbedingt sehen. Da sie bereits mittags spielen sollten, waren wir entsprechend früh da, aber scheinbar umsonst. Denn es wurde mitgeteilt, dass die Band noch im Stau auf der Anreise aus England steckte und es nicht sicher war, ob sie überhaupt spielen würden. Sie schafften es zum Glück noch nach Köln und wurden noch ins Line Up gequetscht, weil die nachfolgenden Bands auf Spielzeit verzichteten. Um eine längere Umbaupause zu vermeiden, spielten Nirvana einfach auf dem Equipment der vor ihnen aufgetretenen Rausch und legten in einer halben Stunde alles in Schutt und Asche. Ich habe selten so viele Leute mit offenen Mündern staunend ob dieser unglaublichen Energie gesehen. Bob Mould kühlte zwar mit einem akustischen Set die Gemüter etwas ab, aber Dinosaur Jr danach spielten auch ihr vielleicht wildestes Set, so dass zum Abschluss bei Sonic Youth nur noch Langeweile aufkam.
24. Juni 1992: Nirvana (Paris- Zénith)
Kein Jahr später war Nirvana eine große Nummer und die Grunge-Welle in vollem Gange. Mit Pearl Jam war auch die nächste Sensation am Start. Die hatte ich kleiner Trottel im März noch in Köln verpasst, weil das Konzert kurzfristig vom Luxor in die Live Music Hall verlegt wurde und ich an der Luxemburger Straße stand und nicht wusste, wie man da nach Ehrenfeld kommt (so etwas ist heutzutage im Zeitalter der Smartphones mit ihren Fahrplan-Apps undenkbar). Doch nach einem überragenden Auftritt beim Pinkpop fuhr ich kurzentschlossen nach Hamburg (ein Katzensprung von Hannover aus, wo meine Freundin lebte) und ergatterte sogar noch die fünftletzte Karte an der Abendkasse für ihre Show in der Großen Freiheit. Zwei Wochen danach wollten ein Freund und ich eigentlich zu den Screaming Trees ins Luxor, lasen aber dann, dass an dem gleichen Abend Nirvana in Paris spielen würden. Also gings erneut kurzentschlossen an die Seine. Da das Konzert ausverkauft war, musste der Schwarzmarkt her halten, auf dem wir damals unglaubliche 300 Francs (ca. 90 DM) für ein Ticket zahlten. Wenn man bedenkt, dass man heutzutage für Transusen wie Xavier Naidoo regulär mehr bezahlt, war das sogar ein Schnäppchen. Denn das Konzert war jeden Pfennig wert..
20. November 2004: Aereogramme (Glasgow - Cottier's Theatre)
Über die Jahre kristallisieren sich Lieblingsbands raus, die man immer wieder gerne live sieht, gerne auch mehrmals auf einer Tour und für die man auch mal kleine Reisen unternimmt. Dies fiel mir immer leicht, da ich es als eingefleischter Fußballfan gewohnt war, hunderte von Kilometern zu einem Auswärtsspiel (gerne auch ins ausland, wenn der Erfolg die eigene Mannschaft mal international spielen lässt). Musiker wie Therapy? oder Grant Hart habe ich so sehr häufig in meinem Leben gesehen und immer wieder kamen neue Bands hinzu, die ich packten und denen ich dann verfallen war. Aereogramme gehören dazu, sind aber doch etwas Besonderes. Als normaler Fan hatte ich sie bereits mehrmals gesehen, war sogar einmal extra für ein Konzert am Silvester-Abend nach Glasgow geflogen (das lag aber mehr oder weniger auf dem Weg, weil ich eh zwischen Weihnachten und Neujahr auf der Insel war, um mir mehrere Fußballspiele anzuschauen). Im Internet hatte dann die Band angefragt, ob ich eine deutschsprachige Sektion ihres Forums als Moderator betreuen wollte, da ich in diesem Forum recht aktiv war und sie in Deutschland erfolgreicher als in ihrer Heimat waren. Im November 2004 spielten dann Aereogramme quasi eine Release-Show für ihr neues Album in ihrer Heimatstadt in einer alten Kirche und da an dem Tag auch das Glasgower Old Firm Derby zwischen Rangers und Celtic stattfand, leistete ich mir den Luxus eines Kurztrips nach Schottland. Dabei hatte ich dann das Glück, die Band und ihre Freunde persönlich kennen zu lernen und daraus entwickelte sich über die Jahre eine Freundschaft, die dazu führte, dass ich in den folgenden Jahren jede Gelegenheit nutzte, die Jungs zu sehen, wenn sie auf Tour waren.
18. Juni 2005: The New Bomb Turks (Solingen - Cobra)
Die New Bomb Turks waren immer eine der besten Livebands, die ich je gesehen habe. Sie waren der Grund für meinen ersten besuch im Gleis 22, damals waren sie als unbekannte Band im Vorprogramm der Devil Dogs im Jib zu Gast, ein Stockwerk über dem heutigen Gleis und der Auftritt wurde von der Polizei wegen Lärmbelästigung beendet. Sie lösten sich nie auf, sondern beschlossen, kein neues material mehr einzuspielen, aber noch ab und zu mal für eine Handvoll Konzerte in Europa aufzutauschen. Die erste dieser Reunion-Shows fand in Solingen statt und war unglaublich. Es war ein heißer Sommerabend und die New Bomb Turks hatten mächtig eingeheizt, fast jeder im Publikum war schweißgebadet, als nach der vermeintlich letzten Zugabe bereits die Musik vom Band einsetzte, das eigentlich unpassende Karma Chameleon von Culture Club. Und plötzlich ertönte hinter dem Bühnenvorhang wieder die Stimme von Sänger Eric Davidson, der sich einfach ein Mikro geschnappt hatte und zu der Musik vom Band sang. Diese Energie und Spielfreude, einfach nicht genug zu bekommen, habe ich in all den Jahren bei kaum einer anderen Band erlebt. Wer diese band live nie gesehen hat, weiß nicht, wonach Rock'n'Roll riecht..
17. April 2007: Therapy? (Bukarest - Fire Club)
Wenn der beste Freund 40 wird und einen fragt, ob man sich ein paar tage rund um seinen Geburtstag frei halten kann, ahne ich schon, dass es etwas mit Musik zu tun haben muss. Therapy? hatte ich zufällig 1991 in London im Vorprogramm der Babes in Toyland entdeckt und über die Jahre die Treue gehalten. Keine andere Band habe ich bislang häufiger gesehen (bislang 47mal) und keine Band habe ich öfter im Ausland gesehen. So waren wir neben den nahen Autofahrten ins benachbarte Holland, Belgien oder Luxemburg auch schon 2003 einmal nach Florenz zu einem Therapy?-Konzert geflogen, weil es einfach eine Billigflieger-Verbindung gab und wir an dem Wochenende nichts anderes geplant hatten. Daher waren sie auch diesmal der Grund für eine Reise, spielten sie doch an Michaels Geburtstag in Bukarest und man kam ziemlich günstig von Dortmund aus in die rumänische Hauptstadt. Es war schön zu sehen, dass auch an einem scheinbar exotischen Ort wie Bukarest die Leute gleich auf Musik reagieren. Man hätte optisch auch genauso gut in irgendeinem Club in Köln stehen können, nur die Begeisterung war noch größer, merkte man den Leuten an, dass es noch nicht alltäglich war, dass Bands dort auf Tour kamen. Dementsprechend begeistert reagierte das Publikum vor allem auf die alten Troublegum-Hits und die Band spürte, wie sehr sie den Leuten eine Freude machte und spielte deutlich engagierter als bei den regelmäßigen Touren in unseren Breiten.Tags drauf bekamen wir sogar noch die Gelegenheit, neben dem Konzert- einen Fußball-Länderpunkt zu machen, konnten wir uns doch noch das rumänische Pokal-Halbfinale zwischen Steaua Bukarest und Poli Timisoara anschauen, also Kultur pur.
17. Oktober 2010: The Unwinding Hours (Glasgow - Oran Mor)
Noch sind Therapy? meine meist gesehene Band, aber Aereogramme / The Unwinding Hours sind ihnen aus weiter oben genannten Gründen ganz dicht auf den Fersen. Nachdem sich Aereogramme 2007 aufgelöst haben, machen Craig und Iain weiter als The Unwinding Hours weiter Musik, was dazu führte, dass ich 2010 wegen ihnen dreimal nach Glasgow geflogen bin. Der Auftritt im Oktober im Oran Mor war der Auftakt für ihre zweite "Europa"-Tour in diesem Jahr, sieben Konzerte in Holland und Deutschland und damit die erste Tour einer Band, die ich komplett mitgemacht habe. Schon im April war ich parallel zu der Band einen Teil der Tour durch die Gegend gezogen, was bei einem Reiseplan von Berlin, München, Wien, Dresden und Hamburg an aufeinander folgenden Tagen das Gefühl für Zeit und Raum komplett schwinden lässt. Der Auftritt im Oran Mor in Glasgow war aber etwas Besonderes, weil er mal wieder mein ganzes Leben auf den Kopf stellte, indem dort der Grundstein für meine jetzige glückliche Beziehung gelegt wurde.
20. Mai 2011: Iron Chic (Köln - Aetherblissement)
Neben all den persönlichen Highlights der ganzen Konzerte, für die Musik nur am Rande etwas kann, sind es letztlich aber die Bands auf der Bühne, die es nach all den Jahren immer wieder schaffen, mir den Kick zu geben und die es einfach nicht langweilig werden lassen, sich die Abende in komischen kleinen Läden mit lauter Musik um die Ohren zu schlagen. Hier für steht stellvertretend die amerikanische Band Iron Chic, die letztes Jahr das erste Mal in Europa spielte und in Köln restlos begeisterte. Der Auftritt fand im Aetherblissement statt, einem kleinen Schuppen, unscheinbar in Köln neben dem Sonic Ballroom gelegen. Es gibt keine Leuchtreklame oder ähnliches, nur eine weiße Tür, die in eine art Werkstatt-Garage führt und die nur an Hand der vielen Band-Aufklebern erahnen lässt, dass sich dahinter ein Etablissement verbirgt. Selten habe ich eine Punkshow mit so einer positiven Energie erlebt, die gleichermaßen Band und Publikum ausgestrahlt haben.
Es ist symptomatisch, dass inzwischen mittels des Internets eine organisierte Szene existiert, die Bands jenseits der Konzertagenturen nach Europa bringen kann und sogar für ausverkaufte Häuser sorgt. Der Kartenvorverkauf findet via E-Mail oder ticketdirect statt, Bands aus den USA finanzieren sich Touren über Kickstarter (z. B. RVIVR) und verkaufen ihre Musik direkt über Bandcamp.
Ob ich es noch auf weitere 1000 Konzerte bringen werde, ist fraglich, aber die bislang gesehenen möchte ich nicht missen, nicht einmal so Sünden wie BAP oder Barclay James Harvest.
Und solange auf der Bühne Leute meines Alters so viel Spaß haben wie Superchunk letztes Jahr in London, so lange kann ich mich vor der Bühne auch noch vergnügen.
Rock On!
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