Montag, 27. Mai 2013

Small Beast w/ And The Wiremen

Small Beast

w/ And The Wiremen / Valerie Kuehne And The PPL / Sebastian Gramss / Paul Wallfisch

24.05.13 Schauspielhaus, Dortmund

Nicht nur die Fußballsaison 2012/13 endet, auch die aktuelle Spielzeit am Dortmunder Theater. Zum Finale hatte Paul Wallfisch mal wieder ins gemütliche Institut geladen und mit And The Wiremen, Valerie Kuehne And The PPL und Sebastian Gramss ein volles Programm aufgeboten,
Zum Anpfiff nahm Wallfisch wie gewohnt am Klavier Platz und begann verhaltend, da seine Stimme angeschlagen war. Gegenüber den letzten Spielen hatte er seine Aufstellung verändert und wich von der Stammformation der letzten Small Beasts ab, indem er bislang wenig zum Einsatz gekommenen Stücken eine Chance gab. Mit The Things We Do To Grow (besser bekannt unter dem Spitznamen Coincidence) war nur ein erfahrener Spieler in der Startelf. Stattdessen durfte anlässlich seines Geburtstags ein Akteur aus der Mannschaft von Bob Dylan auflaufen. In der zweiten Halbzeit wechselte er dann die drei Gastspieler von And The Wiremen für seine Version von Lou Reeds Coney Island Baby ein, ein absoluter Glücksgriff, denn die Nordkurve feierte den Angriffswirbel mit Schlachtgesängen.


Danach wurde das Spiel zu einer virtuosen One Man Show. Sebastian Gramss zeigte, was man alles mit einem Kontrabass machen kann. Der Kölner war quasi auf Durchreise, musste am nächsten Morgen weiter nach Zürich und kam direkt aus Hamburg, wo er den Abend zuvor den Jazz-Echo 2013 verliehen bekommen hatte. Als erstes kündigte er ein Stück an, zu dem er in Irland inspiriert worden sei. Diesen Einfluss hörte ich in keinster Weise raus und überhaupt wirkte es so, wie man sich als ungeübter Hörer Jazz vorstellte. doch scheinbar war das nur eine Fingerübung zum Aufwärmen, denn danach ging es richtig ab und ich bekam den Mund vor lauter Staunen nicht mehr zu.

Sebastian Gramss

Gramss' Bass war eine Augenweide, denn er war nicht lackiert, sondern abgeschliffen, wirkte daher zwar leicht schäbig, aber man konnte dennoch die Qualität des Instruments erkennen. Und das Ganze war kein optischer Gag, sondern diente der Klangerzeugung, denn Gramss bearbeitet das Instrument teilweise mit zwei Bögen und strich damit nicht nur über die Saiten, sondern über den ganzen Klangkörper und entlockte ihm so die merkwürdigsten Töne. Melodien konnte man keine raushören, das war schließlich Jazz, aber immer wieder gab es rhythmische Muster, die sich zerstreuten, um dann wieder aufgenommen zu werden, unterbrochen von Soundcollagen, in denen das Instrument mal wie eine elektrische Gitarre, mal wie ein Bienenschwarm klang und das alles ohne irgendwelchen elektronischen Hilfsmittel. Wie spektakulär das Ganze war, konnte man an den Reaktionen der anderen anwesenden Künstler erkennen.

Sebastian Gramss, im Hintergrund Paul Wallfisch und
Lynn Wright, Simon Goff (And The Wiremen)

Die neben uns unter den Zuschauern sitzende Valerie Kuehne, selber Cellistin und übrigens Kuratorin des New Yorker Small Beast, starrte fassungslos auf das Geschehen und Simon Goff, der Geiger bei And The Wiremen schaute zunächst mal interessiert um die Ecke, stutzte, schaute genauer hin und verfolgte dann ebenso wie sein Band-Kollege Lynn Wright und auch Paul Wallfisch den Auftritt. Nur ein Passant fand das ganze wohl nicht so toll, ließ er doch die Hose vor dem Fenster herunter und ließ seinen Mond ins Institut leuchten, was allerdings fast unbemerkt blieb, da die meisten Augen gebannt auf Sebastian Gramss gerichtet waren.
Danach war dann Pause und frisch gestärkt ging es um Mitternacht in die zweite Halbzeit. Das Geschehen verlagerte sich nun  vom zentralen Mittelfeld vor der Theke des Instituts in die Westkurve. Zunächst waren die Fans irritiert, denn obwohl Wallfisch das Spiel wieder angepfiffen hatte, schien nichts zu passieren. Ein Mann saß erhöht neben einem Haufen elektronischen Equipments und drückte hier und da mal eine Taste, doch man hörte nichts. Vor ihm saß eine junge Frau und kaute an etwas, das wie ein Teil eines Tier-Skeletts aussah. Es wurde ruhiger, gespannte Erwartung füllte den Raum und ganz leise konnte man Töne hören, die offensichtlich von der Frau mit diesem Knochen erzeugt wurden.

Valerie Kuehne And The PPL

Zu den Tönen kam dann eine weitere Frau in den Raum und durchschritt ihn mit einem blinkenden Teller, auf dem ein Doughnut lag. Am Ende erklomm sie die Theke, stellte den Doughnut ab und begann mit einem Monolog über Psychoanalyse. Spätestens hier war klar, dass dies kein normales Konzert, sondern eine Performance war. Ihre Mitstreiterin unterbrach kurz die Klangerzeugung aus Werkzeugen und Alltagsgegenständen und packte stattdessen Scheibletten aus ihren Folien und klebte sie den Zuschauern auf die Hand oder warf sie einmal quer durch den Raum. Es folgten abstruse Geschichten über ein Gravitron, ein amerikanisches Kirmes-Fahrgeschäft und darüber, wie es Menschen in eine andere Welt zieht, um sie am Ende als Untote in Pittsburgh wieder erscheinen zu lassen. Sofort kam mir der Gedanke, dass Pittsburgh das US-Pendant zu Gelsenkirchen sein müsse. Das ganze war so over the top, dass man es als Parodie auf ernst gemeintes Avantgarde-Theater auffassen musste.
Danach gesellte sich Valerie Kuehne zu ihren beiden Ensemble-Kollegen und griff zum Cello, das sie wild bearbeitete und weiterhin Geschichten dazu ins Mikro brüllte, während dazu u. a. eine Kokosnuss zerlegt wurde. Auch die Umwelt trug zu dem Klangspektakel bei, denn auf dem Dortmunder Wall wurden wohl wieder Rennen gefahren und ein besonders lautes Motorenheulen fügte sich nahtlos in den Sound ein.

Valerie Kuehne And The PPL

Dabei headbangte sie wie die Herren von Apocalyptica, so dass ihr sogar die Brille von der Nase flog und ein Bügel sich löste. Die Skurrilität des Projekts wurde auch am Ende noch einmal deutlich, als sie auf ihre CDs hinwies, die man im Foyer erwerben konnte und von deren Erlösen sie versuchen würde, ihre tote Katze zu reanimieren. Während für manch Anwesenden das Ganze zu abgedreht war, gefiel mir diese bizarre und höchst unterhaltsame Performance ausgezeichnet.
Gastgeber Paul Wallfisch unterbrach noch einmal das Spiel für eine kleine Erfrischungspause, inzwischen herrschten fast tropische Temperaturen im Institut und hätte ich die Käsescheibe in meiner Hand nicht gegessen, wäre sie wohl zwischen meinen Fingern zerschmolzen.

And The Wiremen

And The Wiremen sind eine kleine All Star Truppe aus New York. Sänger/Gitarrist Lynn Wright spielt auch bei Bee And Flower, die letztes Jahr bereits beim Small Beast in Dortmund zu Gast waren, Trompeter Paul Watson blies bei Sparklehorse und am Bass ist normalerweise Tony Maimone von Pere Ubu. An diesen Abend war er allerdings nicht dabei, stattdessen wurden Wright und Watson von Simon Goff an der Geige unterstützt, sonst auch bei Bee And Flower.
Die Band spielte auf höchstem Niveau, nämlich auf der Theke stehend. Musikalisch erinnerte das an Calexico oder Giant Sand, der durchaus auf Platte (übrigens gratis bei Bandcamp erhältlich) vorhandene Jazzfaktor wurde diesmal fast komplett ausgeblendet.


Bei einem Song revanchierte sich Paul Wallfisch für die musikalische Unterstützung von And The Wiremen bei seinem Set und begleitet sie am Klavier. Nach einer Dreiviertelstunde, inzwischen war halb zwei bereits durch, kletterten die drei Herren von der Theke. Die Begegnung war entschieden, eine Verlängerung war aber nötig, um den Sieger zu ermitteln. Doch auch die Zugabe brachte keine Entscheidung und so ging es mit einem Unentschieden zwischen allen Beteiligten in die Sommerpause.


Dieses Small Beast zum Saisonabschluss war eines Champions League Finales würdig und wenn auch nicht so große Namen auf dem Platz standen wie auf dem Rasen von Wembley, war es mindestens so großer Sport, der im Institut geboten wurde.
Am 18. Oktober beginnt übrigens die neue Saison und wie immer werden die Höhepunkte auf diesem Sender zusammengefasst werden.

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