Massive Attack V Adam Curtis
31.08.13 Kraftzentrale, Duisburg
Die Ruhrtriennale sorgte bereits letztes Jahr mit dem ersten Deutschland-Konzert der Boredoms bei mir für Begeisterung. Diesmal lockten mich Massive Attack nach Duisburg in den Landschaftspark Nord, wobei die insgesamt vier Auftritte keine normalen Konzerte sein sollten, sondern es wurde eine einzigartige Performance zu den Bildern des renommierten britischen Dokumentarfilmers Adam Curtis angekündigt, die außer in Duisburg bislang nur in Manchester zu sehen war:Schauplatz war die Kraftzentrale im Landschaftspark Nord, eine gigantische Industriehalle, in die pro Vorstellung gut 2000 Menschen gelassen wurden. Wir betraten gegen 19:30 die Halle und suchten wie so viele andere auch erst einmal die Bühne. Es gab keine. Alle Besucher mussten in einer Art Vorraum warten, der alleine schon in etwa die Größe des Kölner-E-Werks hatte. Ein grauer Vorhang verbarg den Rest der Halle. Um viertel vor acht öffnete er sich und gab den Weg frei. In über 100 Meter Entfernung am anderen Ende der Halle sah man elf riesige Leinwände, der eigentliche Ort des Geschehens.
Auf Grund dieses Aufbaus erschien ein Platz direkt vor der "Bühne", wie bei einem normalen Konzert, nicht angemessen und so blieben wir recht mittig in dem Leinwand-Karree stehen.
Kraftzentrale im Landschaftspark Nord, Duisburg |
Massive Attack |
Der Film trägt den Titel Everything Is Going According To Plan und zeichnet im Prinzip die Entwicklung hin zur heutigen Kontrollgesellschaft als Folge des Strebens nach Erhalt des Status Quo in den letzten fünfzig Jahren nach. Ständig wiederkehrende Stränge sind dabei zwei Lebensgeschichten aus den USA und Russland. Es sind dies auf der einen Seite Yegor Letov und Yanka Dyagileva, zwei Protagonisten der sibirischen Punkszene und die Popart-Künstlerin Pauline Boty auf der anderen. Während Letov und Dyagileva am Scheitern der nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gewonnenen Freiheit zerbrachen (sehr schön wird hier Putins pseudo-demokratischer Totalitarismus aufgezeigt), ist Botys Geschichte eine besondere Tragödie. Hochschwanger verzichtete sie auf eine Behandlung ihres Krebsleidens, um die Gesundheit der noch ungeborenen Tochter nicht zu gefährden. Deren Vater starb durch unterlassene Hilfe der Polizei von Los Angeles in einer Zelle. Das Kind wuchs reich auf Grund des Erbes und damit eigentlich sorgenfrei auf, zerbrach aber an ihren eigenen künstlerischen Ambitionen und starb an einer Überdosis Heroin.
Massive Attack |
Diese persönlichen Schicksale bilden den Rahmen für die politische Kernaussage, dass Politik und Wirtschaft keine unsichere sondern eine berechenbare Zukunft wollen, denn aus Angst vor dem Ungewissen wird Sicherheit und die Bewahrung des Status Quo (finanziell und gesellschaftspolitisch) zum Hauptziel des Handelns. Gerade die aktuelle Spionageaffäre um die geradezu weltweite Überwachung durch die NSA und andere Geheimdienste wirken da wie ein Beleg für diese These. Auslöser dieser Entwicklung war der Zusammenbruch des Kommunismus und damit das Scheitern einer Alternative zum Kaptalismus, einhergehend mit der technischen Entwicklung der Computer, die die Rechenkapazität zur Vorhersage komplexer Systeme erst ermöglichten. Anekdotenhaft werden für diesen Berechenbarkeitswahn die Manipulationen der russischen Oppositionsparteien zur Stärkung von Putins Macht gezeigt und auf der amerikanischen Seite die Win-Win-Situation von Finanzkonzernen wie Goldman Sachs, die durch Spekulationen selbst aus Verlusten noch Gewinne zogen.
Adam Curtis selber bezeichnete seinen Film als "musical entertainment about the power of illusion and the illusion of power", denn ein klassisches Mittel zur Aufrechterhaltung der Machtpositionen ist mediale Massenmanipulation. Hier vermischen sich dann politische und wirtschaftliche mit medialer Macht und es werden Personen wie Donald Trump und Ted Turner angeführt, aber natürlich auch die Farce um die Weapons of Mass Destruction. Das Scheitern der Manipulationen, z. B. durch den Aufstieg der Taliban, zeigt, dass eben nicht alles berechen- und beherrschbar ist und stattdessen die Zukunft selber gestaltet werden kann, so das Fazit des Films.
Die musikalische Umsetzung durch Massive Attack zu dem düsteren Unterton war insofern ungewöhnlich, als dass die Mehrheit der Songs Coverversionen waren. So wurde z. B. die scheinbar noch heile Welt der 60er durch Sugar, Sugar von den Archies untermalt und in der Version von Massive Attack klang selbst das nicht mehr nach Bubblegum-Pop. Auch der für Curtis' Film Namens gebende Song Everything I sGoing According To Plan von Yegor Letovs Band Civil Defense wurde gespielt.
Die beeindruckendsten Stücke waren Bela Lugosi's Dead (im Original von Bauhaus), zu dessen düsteren Bässen, die 9/11-Katastrophe bildlich angedeutet wurde mit Explosionen und Szenen aus verschiedensten Spielfilmen, in denen Menschen einfach nur gebannt in den Himmel starren und Just Like Honey von The Jesus & The Mary Chain. Hier wurden Bilder von Ceausescus Hinrichtung vermischt mit Fitnessvideos von Jane Fonda, der Fall des Kommunismus dem neuen Körperfaschismus, den die ehemalige Sozialistin Fonda verkörperte, gegenüber gestellt, der sicherlich kontroverseste Teil der ganzen Inszenierung.
Zum Abschluss sang Elizabeth Fraser, ehemals Cocteau Twins und maßgeblich an Massive Attacks Erfolgsalbum Mezzanine beteiligt, auf russisch ein Stück von Yanka Dyagileva. Der Song heißt übersetzt My Sadness Is Luminous (und kann auf einem Album voller Dyagiileva-Lieder der ukrainisch-stämmigen Sängerin Alina Simone gehört werden) und beendete die mehr als eindrucksvolle Performance. mit den Textzeilen I'm so fucking sick of all of this that I want to start all over again. Dazu leuchtete auf den Leinwänden das Fazit des Films auf, dass die Zukunft von jedem gestaltet und so die Welt verändert werden kann, um die Besucher mit der Aufforderung Now find your own way home in die Nacht zu entlassen.
Massive Attack V Adam Curtis |
Applaus brandete auf, eine Zugabe gab es natürlich nicht, stattdessen wurde der Weg aus der Halle noch zum letzten Teil der Inszenierung. Denn das Licht blieb aus, dafür strahlte vom anderen Ende immer wieder gleißend helles Licht durch das riesige Areal und es waberte plötzlich Nebel durch die Kraftzentrale. So entwickelte sich der Weg nach draußen zu einer gespenstischen Schattenprozession, die an Szenen aus Science-Fiction-Filmen wie Unheimliche Begegnung der dritten Art erinnerte. Den eigenen Weg zu finden wurde so durchaus schwierig und machte noch einmal klar, dass dieser Weg ungewiss, vielleicht sogar gefährlich sein kann.
Es war eine kongeniale Verknüpfung von beeindruckenden Bildern und ebenso beeindruckender Musik, zudem an einem Ort, wie gemacht für diese düstere Erzählung, der Zerfall der Gesellschaft dargeboten in einer Industrieruine. Ein einzigartiges Ereignis, das sicherlich in diesem Jahr von keinem normalen Konzert übertroffen wird.
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